COSMO DELLA MEMORIA

Das persönliche Archiv wird geöffnet, um die eigene Position innerhalb eines geschichtlichen Fortgangs zu bestimmen. Welche Wirklichkeit vermittelt uns die museal anmutende Sammlung – und wird alles glaubhaft, wenn es nummeriert und beschriftet ist?

Dieses Gedächtnis funktioniert frei nach Art des Memoriatheaters von Giulio Camillo Delmino (1480–1544) und findet seinen speziellen Ort eines strukturierten Raumes in einem eigenen Kabinett voller emotional aufgeladener Objekte – ganz im Sinne der ars memorativa.

Als Material dieser Sammlung wurden Familienfotografien, Fundstücke, angefertigte Objekte und aus dem Alltag gelöste Gegenstände in neuen Kontext gesetzt, der dem  Betrachter die Möglichkeit bietet, eigene Geschichte und Geschichten oder Erinnerungen zu assoziieren.

COSOMO DE ROSAS

Die Rose, Symbol von Liebe und Hoffnung, in Wachs und Licht getaucht. Der Versuch, einen besonderen Moment für die Ewigkeit zu konservieren – wird misslingen. Unsere Erinnerungen verblassen, verändern sich und werden mit neuen Erlebnissen überdeckt. Durch Licht und Dunkelheit, Ferne und Transparenz, Gegenwart und Vergangenheit wird die Vielschichtigkeit von Erinnerung in eine eigene Sprache übersetzt, die die Dimension von Zeit und (Kunst-)Geschichte transformiert.

ERINNERN UND VERGESSEN

Erinnern und Vergessen sind grundlegende Prozesse unseres Lebens, mit denen sich die Künstlerin seit über 20 Jahren in verschiedenen Projekten auseinandersetzt.

Die Erinnerung verklärt, verformt und konstruiert neu. Das Paradoxe des Vergessens: dass man nicht sagen kann, was man vergessen hat. Im Rückblick auf die eigene Geschichte, in Bezug auf unser Jetzt, schauen wir wie durch eine gefrorene Wasseroberfläche in die Tiefen unserer eigenen Bilder.

DAS  MEMORIATHEATER

Die antike Göttin des Gedächtnisses und der Erinnerung heißt Mnemosyne. Sie ist auch die Göttin des Museums und die Mutter der neun Musen. Museen dienen der Fortsetzung des Lebens in der Erinnerung der Lebenden. Museen sollen uns an etwas erinnern. Und huldigt man Platons Auffassung der Erkenntnis, nach der alles Erkennen eigentlich Wiedererkennen ist, kann man die Museen Memoriatheater in der ursprünglichen Bedeutung dieses Begriffs nennen: Orte, an denen man sich im Erinnern übt, um zur Erkenntnis zu gelangen.

Die Erinnerungs- und Gedächtniskunst, die ars memoriae, geht auf den griechischen Lyriker Simonides von Keos (circa 557 – 468 v. Chr.) zurück, der Cicero zufolge durch einen Zufall entdeckte, dass räumliche Ordnung und Reihenfolge die besten Gedächtnisstützen sind. Zur Zeit Ciceros erschien das Lehrbuch der Gedächtniskunst Ad Herenium: das künstliche Gedächtnis (artificiosa memoria) wird von Orten und Bildern geschaffen. Dies kann ein Ort, an den man sich leicht erinnert, ein Haus sein, ein Raum voller Säulen, eine Ecke, ein Bogengang. Wollen wir uns an ein Pferd, einen Löwen oder einen Adler erinnern, müssen wir Bilder von ihnen an bestimmten loci anbringen.

In der Renaissance wurde die antike Mnemotechnik von Giulio Camillo Delmino (1480 bis 1544) wieder aufgenommen, der 1530 ein Teatro della memoria, ein Erinnerungstheater, entwarf. In diesem Theater wurde der Zuschauer an alle Geheimnisse des Daseins erinnert, die sich nach Camillo in einer paradiesähnlichen Vergangenheit versteckten.

Das Theater war in sieben konzentrische Halbkreise eingeteilt, die sich wiederum in sieben Abteilungen, loci, gliederten, die ihrerseits mit einem der sieben Planeten verbunden waren. Auch die sieben Tage der Schöpfung und die sieben Säulen der Weisheit gehörten zum Memoriatheater. Auf die Abteilungen verteilt gab es für jeden Halbkreis dieselbe Bildkomposition, die jeweils eine andere Bedeutung erhielt, abhängig von dem Planeten, unter dem sie stand. In allen sieben mal sieben loci finden wir dasselbe Bild, aber mit verschiedenen aufeinander bezogenen und von dem jeweiligen Ort geprägten Erklärungen. Die Bilderserien hatten eine besondere, kosmische Kraft, die genau an dem Ort zusammenfloss, an dem der Betrachter stand. Durch die Beherrschung der Erinnerungstechnik erlangte man kosmische Erkenntnis und magische Kraft.

Das Memoriatheater zeigte sowohl ein neues Menschenbild als auch ein neues, auf das Individuum konzentriertes Weltbild. Der Platz des Memorierenden in der absoluten Mitte des Theaters symbolisierte die Auffassung der Renaissance vom Menschen als einem schöpferischen, selbständigen Individuum, das allein imstande war, den Weg zur göttlichen Ordnung zu finden. Die Erinnerung daran war identisch mit dem Verstehen.

(aus: Wunderkammer des Abendlandes, Museum und Sammlung im Spiegel der Zeit, Hrsg: Kunst- und Ausstellungshalle Bonn, 1994)

1965                     in Hannover geboren

1981–84              Mitglied im Studio für Neue Musik, Leitung: José Luis de Delás, Köln

1984–85              Theaterwerkstätten der Bühnen der Stadt Bonn

1985–88              Schule für Gestaltung Basel [Schweiz]

1988–95              Studium an der Hochschule für Gestaltung Offenbach/M

1991                     Förderpreis der Futura AG Wiesbaden

1993–95              Johannes-Mosbach-Stipendium

1995                     Diplomarbeit „Erinnern und Vergessen“ bei Prof. Klaus Staudt

Seit 1995             Freischaffende Künstlerin und Grafikerin

Lebt und arbeitet in Offenbach/M und Frankfurt/M

Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland

KONTAKT:

Petra Maria Mühl
KUNSTKAISER
Atelier für Kunst / Raum für Ideen / Zeit für Gestaltung
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