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Nandu Kriesche – Ein kleiner Text über meine Arbeit

Leben ist Kunst und Kunst ist Le- ben, nach dieser Maxime entwickle ich meine Arbeit im Atelier seit ca. 35 Jahren. Ich gehe vom eigenen Erleben aus, was mir ab und zu das Ge- fühl gibt, einer Inspiration folgen zu müssen. Das ist eigentlich alles, könnte man meinen, aber in der heu-
tigen Zeit ist die Suche nach Motiven und optischen Inspirationen, wie es viele Maler früher taten, nicht mehr ausreichend. Heute steht die Story, das Konzept ganz oben und hat einen festen Platz. Wer sich, wie ich, der Stringenz entzieht und sich auf sein eigenes Auge eines Malers verlässt, kann auch Inspirationseindrücke direkt in poetische Kompositionen verwandeln. Inhaltlich bewegen mich die gesellschaftlichen Fragen, Beobachtungen und Haltungen unserer Kultur der Gegenwart. Fragen nach Diversität, wie die offene Gesellschaft, unsere Konsumwelt, die Demokratieentwicklung und Ereignisse, die mich berühren. Dies gab und gibt mir immer wieder die Energie, weiter einen Spiegel der Zeit künstlerisch zu erarbeiten. Mit der Faszination, die ich für das LICHT, BEWEGUNG, FARBE und TRANSPARENZ habe, ist ein breites Spektrum an Arbeiten entstanden.
Zudem ist die Auseinandersetzung mit meiner eigenen Identität ein weiterer inhaltlicher Bereich meines Kunstschaffens. Die persönliche Betroffenheit ist manchmal schonungslos offen, denn ohne deren Mut gäbe es wohl keine Veränderung. Der Kunstname 􏰀Nandu􏰁 in meinem Vornamen knüpft daran an. Er ist ein Spiel mit meiner eigenen Identität. Er kann in dem Bild Chi (italienisch: wer) als „ich“ umgekehrt gelesen werden. Das Bild gehört zu meiner Reihe Swanlike, ein Bilderzyklus zum Genderthema. Einen Doppelvornamen zu wählen, der einem kleinen in Südamerika lebenden Vogel Strauß angelehnt ist, hat für mich neben dem performativen Charakter noch mehrere weitere Bedeutungen.
Schon Man Ray, bürgerlich Emmanuel Rudnitzky, und Marcel Duchamp haben das Publikum mit dem Kunstgeschöpf und Alias des Frauennamens Rose Sélavy83 irritiert. Diese Freiheit gefiel mir. Ich erinnerte mich an ein Märchen aus meiner Kindheit, in dem ein Mann in einen kleinen Straußenvogel (Nandus) verwandelt wurde. In meiner Werkreihe Swanlike, einer Reihe in Acryl, Öl und Paraffin auf Leinwand, habe ich neben Tiefseelebewesen, mythologischen Figuren, auch Schwäne einbezogen, als Sinnbild der ästhetischen Angleichung der Geschlechter. Martin Walser, der ein- mal ausführte, dass es Männern manchmal an einer gewissen weiblichen Praxistauglichkeit fehle, die Welt besser und anders zu empfinden, kann ich gut verstehen. In der Serie „inner circle“, entstanden in der Coronazeit, entdeckte ich einen femininen Farbkanon, der in 12 Bildern endete: eine fordern- de Farbigkeit mit neuen Tönen im Violett/Rot-Bereich. Ich empfand diesen Farbklang als passende Antwort zu meinem inneren Gefühl in der Pandemie-Krise.
Paraffin mit seinen Eigenschaften der Unschärfe und immer auch der Uneindeutigkeit ist eines meiner Lieblingsmaterialien. Niemals kann der Hintergrund als scharf und damit makellos gesehen werden. Durch eingeritzte Linien in die dicke Schicht des Paraffins habe ich Bilder, wie das Bild Lob der Bescheidenheit 2.0 mit einer Tiefenwirkung entwickelt, die den Hinter- grund erst aus der Distanz gut erkennen lässt. Das Bild fängt an zu atmen, ein Kontrast zum schwebenden Moment. Eine liegende Figur ruht sich melancholisch auf dem Würfel aus Dürers Melancholia aus, im Hintergrund ein Containerschiff im Hafen bei Nacht.
Kunst ist für mich eine Art Umarmung des Universums, in der fast alles möglich war und ist. Eine Art Medium der Kunst zu sein bedeutet für mich in mich hineinzuleuchten und dort zu finden, die fortgeführte kultivierte Melancholie, ein Grundstein unserer Kultur.
In meinen Glaskugel- /Acrylglasarbeiten habe ich meine Palette noch einmal erweitert, nun um die Frage der möglichen Materialien. In dem Bild Zentrumsgeflüster 1 steht ein Hermaphrodit im Zentrum, eine griechische Skulptur aus dem Louvre. Früher galten menschliche Uneindeutigkeiten als Fügung Gottes und wurden besonders sensibel als heilig betrachtet. Ursprünglich war der Hermaphrodit eine besonders auf Zypern als Gottheit verehrte männliche Form der Aphrodite, heute gibt es die Tendenz zur Akzeptanz, das eigene Ich so auszuleben wie es dem Einzelnen gefällt, eine Kultur des Individuellen auch im Geschlecht, die es so noch nie gab. Die scharf konturierten Acrylglas-Schwingungen in der Mitte des Bildes weisen auf meine weitere Inspiration durch die neuere Genetik-Forschung (Optogenetic) in der Medizin, bei der nach Möglichkeiten gesucht wird, mit Licht zu heilen, eine vielversprechende, neue, noch etwas unheimliche Methode. In diesem Zusammenhang kann auch mein Objekt Musenbusen gesehen werden. Eine einfache Inspiration im Atelier durch einen Trichter, der an der Wand hing, veranlasste mich, einen Pinsel in das Loch zu stecken. Ich besorgte dann zum ersten Mal Glaskugeln, um die Form zu veredeln und zu transponieren.
Gerade die Wirkung von Licht in der Nacht habe ich in einigen Lichtinstallationen bei den Luminale-Biennalen in Frankfurt am Main in poetischer Form verwirklicht. Die Lichtinstallation Lichtfall 1, eine Auftragsarbeit für ein Frankfurter Kunstsammler-Ehepaar, war eine besonders schöne Herausforderung. Inspiriert wurde ich durch eine physikalische Abbildung von Schwingungen und Strudeln: warmes Wasser vermischt sich mit kaltem. Ich habe die hochwertigen Neon-Silikon-Flextubes mittels Aluminiumschienen an die Hauswand montiert. Die Vermischung unten besteht aus transparenten, farbig bearbeiteten Acrylglasscheiben. Der Ort ist seitdem ein gern gewählter Hintergrund für Selfies von Passanten .
Für den Privatgebrauch ist das in Ordnung. Ich wende mich jedoch gegen jede kommerzielle Nutzung und Vermarktung.
Im Kontext meiner Arbeit Bewegungssinn hatte ich mit einer interessanten Rechtsfrage zu tun, konnte sie aber selbst nicht be- friedigend auflösen. Acht Scheiben aus Paraffin mit einer Acrylglasscheibe in der Mitte stehen symbolisch für zwei Autos. Im Hintergrund erscheinen die Silhouetten von Städten. Dazwischen sind die Fotoaufnahmen der Serie des US-amerikanischen Fotografen Eadweard Muybridge (1830-1904) The Horse in Motion zu sehen, bei der er bewies, dass ein Pferd im Galopp immer wieder schwebt. Ich verlieh das Bild für drei Jahre an eine renommierte Autofirma in Frankfurt. Danach zeigte ich es in einer Ausstellung in einem Schloss in der Nähe von Wien.
In der Bildreihe “Wenn die Vernunft die Augen schliesst“ habe ich ein Jahr lang Terroranschläge in Paris und an anderen Orten Europas bearbeitet. In einer Warschauer Zeitung sah ich ein Bild wie kein anderes. Es zeigt, wie ein junger, verletzter Mann von Feuerwehrleuten getragen wird. Mir gefror buchstäblich das Blut in den Adern. Ich sah ein tief religiöses Gefühl, mit dem der Fotograf gleichsam eine Kreuzabnahme festgehalten hatte. Es ging für mich mit dem Anschlag im November 2015 auch um einen Anschlag auf alle Künste, auf das Lebendige, auf das Staunen, das neue Energien und Fragen schenkt.
Johannes-Nandu Kriesche

1959 in Herzebrock / NRW geboren
1981–87 Studium der Malerei an der FH Bielefeld bei Prof.Inge Höher 1994–95 Studienaufenthalt in Rom
1996 Umzug nach Frankfurt a.M.
seit 2003 Mitglied im Bund Offenbacher Künstler (bok)
lebt und arbeitet in Offenbach und Frankfurt

Preise und Nominierungen:

1. Kunstförderpreis „ Offenbacher Löwe 2004“
Kunstpreis Worpswede 2017, 2. Platz
Atelierstipendium der Hessischen Kulturstiftung HKST, 2020 Projektstipendium der Hessischen Kulturstiftung HKST, 2021 Brückenstipendium der Hessischen Kulturstiftung HKST, 2021 Künstler-Stipendium, Kulturamt Offenbach, 2021/22 Künstler-Stipendium, Kulturamt Frankfurt, 2021/22

Ausstellungen (Auswahl) K=Katalog

2023  „Die Energie des Lichts“, Kunstverein Walkmühle, Wiesbaden (K) „Schattensprung“, Galerie bok, Offenbach am Main

Galerie im Gallus Theater, Frankfurt am Main
Switchboard, Frankfurt am Main

„every breath you take“, LUMINALE 2020, Frankfurt am Main „Was anders ist…“, Galerie bok, Offenbach

„Einsprung“, Galerie Rubrecht Contemporary, Wiesbaden (K) „Wenn die Vernunft die Augen schliesst“, Kunstverein Heinsberg

Lichtinstallation „Ach wie gut das niemand Weiß“, Luminale Frankfurt Auferstehungskirche, Bad Oeynhausen
Lichtinstallationen, „Musenzopf“,Museum Boppard
Galerie Rubrecht Contemporary, Wiesbaden

„Schweingehabt“, Galerie Alter Schlachthof, Karlsruhe LUMINALE 2014, Offenbach am Main
Galerie Katrin Hiestand, Landau

„Strassenbilder“, Kunstforum Schloss Wolkersdorf, Wien Galerie Beck, Homberg (K)

„Cutting Dreams“, LUMINALE 2012, Frankfurt am Main „Kunst Privat“, Sammlung Etage 3, Offenbach

2011 J.-W. Goethe Universität, Frankfurt, Campus Riedberg 2010 Kunstforum Schloss Laubach, Laubach

Heyne Kunstfabrik, Offenbach
„Leda OF positions“, LUMINALE 2010, Offenbach

2009 Regionalgalerie Südhessen, Darmstadt (K) 2008 Galerie KunstRaumMato, Offenbach/Main

Galerie 84 GHz, München
2007 Galerie ART BOX, Frankfurt am Main

Galerie Gallus Theater, Frankfurt am Main
2006 Museum der Abguss-Sammlung Antiker Plastik, Berlin

Galerie Artycon, Offenbach a. M.

Galerie MK 21, Hamburg
2005 Galerie im Evo-TURM, Offenbach a. M. (K) 2004 Galerie KUNST RAUM MATO, Offenbach a.M.

Galerie Kunstraum69, Hanau
2003 Galerie Edition 1, Frankfurt a.M. 2000 Galerie der Software AG, Darmstadt

Galerie Kunstwerk, Frankfurt a.M. (K) 1999 Galerie Kunstwerk, Frankfurt a.M. 1998 Art Mac Can, Frankfurt a.M.

Hochschule für Musik u.Darstellende Kunst, Frankfurt a.M. 1997 Galerie Otterstätt, Bielefeld
1996 Kirchliche Hochschule Bethel, Bielefeld (K)
1995 Galerie Grabenheinrich, Gütersloh

Galerie Medienhaus, Bremen

Studio Giolitti, Rom 1994 Galerie Infracom, Paris

1987 Galerie Friedemann, Gütersloh

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Kontakt: 0179 731 0 516 www.johannes-kriesche.de nandukriesche@googlemail.com www.instagram.com/jokriesche/

Studio: ATELIERFRANKFURT, Schwedlerstr. 1-5 60314 Frankfurt am Main (Atelier 4.12)