„Ich bin ja eigentlich ein ganz klassischer Maler“
Text von Kunsthistorikerin Ulrike Kuschel

Betritt man die Naturheilpraxis von Pascale Dauster, fällt der Blick schnell auf einen üppigen weiblichen Hintern, der nicht auf einem rechteckigen Untergrund gemalt ist, sondern als Objekt mit sich nach oben stark verjüngenden Konturen vor der farbigen Wand hängt. Das Bild trägt den Titel bezeichnenden Titel „Barock Popo“ und ist 1993 entstanden.
Schöpfer diese Arbeit ist der 1960 in Wiesbaden geborene und heute in Köln und Frankfurt/Main lebende Maler Leif Trenkler. Die meisten der ausgestellten Arbeiten stammen aus dem Frühwerk des Künstlers und sind in den 1990er Jahren entstanden. Aber auch Aspekte seiner heutigen Arbeit sind in zwei Bildern zu entdecken.

Schon früh setzte sich der Maler intensiv mit Menschen auseinander. Fand er seine Modelle zunächst in seinem engsten Umfeld, die er im Vordergrund des Bildes ansiedelt oder sie sogar so nah „heranzoomt“, dass nur noch Ausschnitte des Körpers dargestellt werden, zeigt er später anonyme, weit in den Mittel- oder Hintergrund gerückte Personen. Passend zum Kontext einer Praxis sehen wir hier vor allem Frauenbilder in Nahsicht. Neben mehreren Körperausschnitten sind es weibliche Personen, die im Bild ganz auf sich selbst bezogen sind oder agieren. Janeta im gleichnamigen Bild von 1994 sitzt lässig und in sich versunken zwischen den Ornamenten, die den Hintergrund bestimmen. Die Frau in „Fenster“ (1997) hat sich sogar vom Betrachter abgewandt, vom Bildrand beschnitten sehen wir noch nicht einmal ihr Gesicht. Die Szene wirkt spontan und wie zufällig ausgewählt.

Die Arbeit mit dem Bildausschnitt, der die dargestellte Figur stark anschneidet, und die Normalität der Szenen gehören zu den künstlerischen Strategien Trenklers. Wie bei anderen zeitgenössischen Künstlern entstehen als Grundlage vieler Bilder Fotografien. Seine Motive findet Trenkler vor allem auf Reisen. Ohne künstlerischen Anspruch oder lange Motivwahl entstehen Schnappschüsse, die festhalten, was den Künstler in der ungewohnten Umgebung staunen lässt. Er nimmt in seinen Zufallsbildern nicht die exotischen, sondern die unaufgeregt-alltäglichen Dinge auf. Zurück im Atelier setzt er die Bildmotive um, dabei verwebt sie ganz oder in Ausschnitten mit anderen Bildern, die aus allgemein bekannten oder unbekannten Quellen der Hoch- oder Populärkultur schöpfen, aus dem kunstgeschichtlichen Fundus genauso wie aus der medialen Bilderflut des Fernsehens oder der Illustrierten. In einer Art alchimistischem Vorgehen werden Details verschmolzen, sie werden ausgetauscht oder farblich verändert. Aus Bruchstücken wird ein geschlossen wirkendes Ganzes zusammengefügt.

Aus solchen Kombinationen entstehen meist Szenen ohne stringente Erzählung. Sie gleichen eher einer Traumwelt, die, wie Martin Tschechne schreibt, „magische Momente“ und Augenblicke festhalten, in denen die Zeit wie bei einer Momentaufnahme stillzustehen scheint. Fast immer wird, vor allem in den neueren Arbeiten, eine positive und heitere Situation gezeigt, zu der der Betrachter, wie durch eine Glasscheibe getrennt, keinen Zugang erhält. Bei näherer Betrachtung hält das Ganze dann dem positiven Eindruck nicht mehr stand, winzige Störungen irritieren und lassen an der heilen Welt zweifeln.

Ein weiterer Ausgangspunkt für Trenklers Arbeit liegt, neben der eigenen Fotografie, in der Malerei zurückliegender Epochen. Der Künstler führt „Dialoge“ mit der Vergangenheit, die Kunstgeschichte dient ihm auf vielen Ebenen als Inspiration. Seine Bilder bewegen sich zwischen klassischen Genres wie Akt, Porträt, Architekturbild und Landschaft. Immer wieder blitzen Erinnerungen an bekannte Gemälde auf, die aber in völlig anderem Kontext oder Malstil zugleich neu und fremd wirken. Wenn der Künstler Wasser malt, denken wir spontan an die Poolbilder von David Hockney. In anderen Gemälden scheinen Szenen aus dem amerikanischen Alltag, wie sie Edward Hopper gemalt hat, die Pate gestanden zu haben.
Der Maler selbst nennt eine Vielzahl historischer und zeitgenössischer Künstler als seine Vorbilder, die Spannweite reicht vom Mittelalter (z.B. Brüder van Eyck) über die italienische Renaissance (Piero della Francesca und Masaccio) und den Barock und Rokoko (Tiepolo und Boucher) bis zu der Malerei des 20. und 21. Jahrhunderts (von George Grosz bis Thomas Bayrle).

Auch in der Material- und Farbbehandlung gibt es Berührungen mit der Kunstgeschichte, beginnend mit der Wahl des Malmittels. Trenkler verwendet anstelle der leichter zu verarbeitenden Acryl-Ölfarbe, als Bildträger wählt er nicht Leinwand, sondern Holz, das er selbst den „Malgrund der Alten Meister“ nennt. Hier findet eine künstlerische Reminiszenz an mittelalterliche und Renaissance-Tafelmalerei statt, eine Erinnerung an den Bildträger schlechthin aus der Zeit bis ins 17.Jahrhundert, bevor sich das Leinwandbild durchsetzte.
Obwohl Trenkler selbst figürlich arbeitet und mit Recht immer wieder zu den Vertretern der sog. Neuen Figuration gezählt wird, fasziniert ihn der Umgang mit der Farbe gerade bei abstrakt arbeitenden Künstlern. Die koloristische Balance im Bild und die Verteilung von Hell und Dunkel lernt er beispielsweise von Künstlern wie Barnett Newman und Mark Rothko.

Die Bilder von Leif Trenkler sind Ergebnisse einer experimentierfreudigen und offenen Vorgehensweise, mit der der Künstler scheinbar einander entfernte Elemente kombiniert und erweitert, so dass sie eine fruchtbare Vereinigung miteinander eingehen. Traditionelle Motive und Bildmittel fließen in seiner Kunst mit zeitgenössischen Bildern aus den neuen Medien zusammen und ermöglichen uns, dem Betrachter, eine vielschichtige Herangehensweise.

Cutouts
Auf eine Besonderheit der bei Pascale Dauster gezeigten Arbeiten soll vertiefter eingegangen werden: In den meisten Bildern, entstanden in den 1990er Jahren, nähert sich Trenkler seinen Modellen so weit an, dass er ihnen förmlich „auf den Leib“ rückt. Bruchstückhaft präsentiert der Künstler den menschlichen Körper, und dafür wählte er eine auffällige und unkonventionelle Methode der Bildgestaltung.

Gemälde sind normalerweise rechteckig, sie bilden vor der Wand eine Art Fenster in eine eigene Bildwelt. Trenklers Körper verlassen das übliche Format. Der Bildgegenstand und die Bildfläche sind eng miteinander verschmolzen, indem die äußeren Konturen teilweise dem gemalten Körper entsprechen. Das Gemälde ist weniger eine illusionistische Wiedergabe als ein eigenständiges Objekt. Den Umriß des geformten Holzgrundes bestimmt das Motiv, die Segmente des weiblichen oder männlichen Leibes, mit, und es ist dieses Trägermaterial, das Trenkler die Hinwendung zum exzentrischen Ausschnitt ermöglicht. Der losgelöste Körper befindet sich nicht innerhalb des Bildes vor einem Hintergrund, sondern die Wand übernimmt dessen Funktion. Die plastische Wirkung, die auch im Gemälde durch die Farbführung angestrebt ist, steigert sich optisch zu einer Illusion von Räumlichkeit, so dass mit Werken wie „Brust“ und „Bauch“ (beide von 1993) Objekte entstehen, die ambivalent zwischen Malerei und Skulptur, zwischen Zwei- und Dreidimensionalität angesiedelt sind.

Die Wurzeln für die Abwendung vom traditionellen Rechteckformat liegen bereits in der Renaissance, in der Rundbilder, sog. Tondi, durchaus verbreitet waren. Auch erste Dreiecksformate wurden eingesetzt. Schon vor dem Ersten Weltkrieg stellten russische Avantgarde-Künstler das Rechteckformat potentiell in Frage, indem sie das Verhältnis des Bildes zur Wand und zum Realraum untersuchten. In den frühen 1920er Jahren experimentierten Künstler wie der Ungar Laszlo Peri mit der Objekthaftigkeit des Bildfeldes. Auf einen Untergrund aus Beton malte er perspektivisch aufgefasste Räume, wobei seine Kompositionen dort endeten, wo die innerbildlichen Formen ihre Grenzen haben, und er schuf so Bilder mit polygonalen, nicht-symmetrischen Formaten.

Eine Wiederaufnahme der geometrischen Öffnung der äußeren Bildkonturen fand in den 1960er Jahren statt, vor allem in den „shaped canvases“ von Frank Stella. Shaped canvas, die geformte Leinwand, ist eine frei entworfene Bildform, in der die innere Struktur den äußeren Rahmen bestimmt und umgekehrt. Form und Motiv bedingen sich wechselseitig. In Stellas großformatigen minimalistischen Gemälden ist der Außenkontur aus den die Bildfläche füllenden parallelen Streifen entwickelt.

Neben den geometrischen Umrissen gab und gibt es auch Formate, die sich aus einer sich verselbständigende Farbe entwickelt haben. Als Beispiel sei hier Gerhard Hoehme, dessen amorphe Bilder die Grenze zum Objekthaften überschreiten.
Seltener verknüpfen Künstler den naturalistischen Gegenstand mit dem unregelmäßigen Format, wie Trenkler dies tut. Kann als sehr frühe Ausprägung das mittelalterliche Kruzifix angeführt werden, bei dem das Bild in Kreuzform angelegt ist, in die der Körper Christi hineingemalt ist, so ist es im 20. Jahrhundert beispielsweise Salvador Dali, der sich mehrfach vom rechteckigen Format abwendet. In „Paar, die Köpfe voller Wolken“ von 1936, das er in zwei Varianten malte, bestimmen die Umrisse eines männlichen und eines weiblichen Oberkörpers die äußere Bildform.

Etwa 30 Jahre später und zeitgleich mit Stellas shapes canvases entstandenen dann die sogenannten „Cutouts“ von Künstlern wie Alex Katz und Tom Wesselmann. Katz schuf sein erstes Cutout bereits 1959, als er eine Figur aus der Leinwand schnitt und auf Sperrholz aufzog. Meistens zeigen Katz‘ ausgeschnittene Bilder Personen, zum Teil auch Landschaften. Wie sehr Trenkler gerade diesen amerikanischen Maler schätzt, unterstreicht, dass in seinem Atelier eine Arbeit von Katz hängt.

Bekannt sind die großformatigen „Great American Nudes“ von Wesselmann, die in der Zeit ihrer Entstehung als pornografische Provokation wirkten. Ästhetisch orientierte sich Wesselmann an der Werbung der 1960er und 1970er Jahre, und er präsentierte die Frauen als gesichtslose Körper in kühler Manier und glattem Farbauftrag. Auch Katz‘ Werke in plakativ-intensiver Farbigkeit und geglätteter Oberfläche wirken kühl und distanziert. Obwohl Trenklers Körperfragmente der äußeren Form nach Einflüsse von beiden Künstlern aufnimmt, entsprechen in seinen Arbeiten der Kontur dem gezeigten Körperfragment nicht unbedingt. Manchmal bildet das Bild einen eigenen Ausschnitt aus. Zudem entfernt sich Trenkler in der Binnengestaltung des Objekts weit von den Amerikanern. Nicht die glatte und künstliche Optik, angelehnt an den amerikanischen Traum vom unendlichen Konsum, beschäftigt ihn in diesen Bildern, sondern sein fast augentäuschender Farbauftrag strebt der Beschaffenheit von Haut nach. Allerdings ist es später gerade der Umgang mit der Farbe, der sich zu größerer Flächigkeit verändern wird.

Die Grenzen des herkömmlichen Bildes, die, wie aufgezeigt wurde, schon von anderen Künstlern aufgelöst wurden, überwindet Trenkler auf seine Weise. Indem er dies nur in Verbindung mit den Körperfragmenten unternimmt, thematisiert die Werkgruppe die Spannung zwischen Totalität und Ausschnitt. Es ist die Besonderheit dieser Gemälde, das Ganzheitliche und in sich Stabile mit Hilfe des klassischen Themas der europäischen Bildtradition, des (meist weiblichen) Akts, in Frage zu stellen. Die Zerteilung des Leibes erfolgt nicht als brutaler Vorgang, sondern legt den Fokus auf die Sinnlichkeit von Nacktheit. Die Darstellungen fröhlichen und lustvollen Begehrens fokussieren gezielt auf erotische Körperteile wie die nackte (männliche) Brust, den üppige Hintern und die beiden weiblichen Unterleiber mit geschlossenen und gespreizten Schenkeln. Der Verzicht auf einen eigenen Hintergrund lenkt die ganze Aufmerksamkeit des Betrachters auf diesen besonderen Zyklus.

Musste die Darstellung des Körpers in früherer Zeit noch durch symbolischen Gehalt getarnt werden, zeigt sie heute: Man sieht, was es ist. In Zeiten, in denen Bilder von nackten Körpern überall verfügbar sind, hat sich allerdings die Brisanz, die das Thema durchaus noch in den sechziger Jahren hatte – wie bei den „Great American Nudes“ – verloren. Die Faszination der kleinen Objekte liegt in dem eigenwilligen Ausschnitt und in der Reduktion. Erst später, nach dieser Experimentierphase, werden die Bilder dann vielschichtiger, die Persönlichkeit, hier noch im Brennpunkt, verliert an Dominanz, und eine innerbildliche Räumlichkeit hält wieder Einzug in die Komposition. Die Gemälde entwickeln dann, ausgehend von den frühen Akten, zunehmend Komplexität und Doppelbödigkeit.

Bücher von Leif Trenkler:

Ich liebe deine langen Augen
Autor: Martin Tschechne
Prestel Verlag, ISBN 978-3-7913-6287-8

Leif Trenkler
Autorin: Gertrud Nolte
Dumont Buchverlag, ISBN-10: 3832175741

Leif Trenkler
1960            geboren in Wiesbaden
1984-86       Städelschule Frankfurt / Main
1986-87       Kunstakademie Düsseldorf
1988-90       Städelschule Frankfurt / Main
1990-91       Auslandsstipendium „Studienstiftung des deutschen Volkes“ Italien
ab 1992        zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen